• 17. April 2025

Prof. Dr. Terumi Tanaka, Friedensnobelpreisträger 2024

„So lange Atomwaffen existieren hat die Menschheit keine Zukunft!“

Prof. Dr. Terumi Tanaka, Friedensnobelpreisträger 2024

Prof. Dr. Terumi Tanaka, Friedensnobelpreisträger 2024 150 150 Sven Lilienström

„So lange Atomwaffen existieren hat die Menschheit keine Zukunft!“

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in einem der vielen Polit-Talks über Aufrüstung gesprochen wird. Längst geht es dabei nicht mehr „nur“ um konventionelle Abschreckung, sondern auch um die Frage, ob Europa eigene Atomwaffen braucht. Bleibt die Frage: Ist die Logik des atomaren Kräftegleichgewichts überhaupt noch zeitgemäß? War sie das jemals? Und wenn ja, wie opportun ist der Gedanke der nuklearen Abschreckung? Darüber sprach Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, via Zoom mit Prof. Dr. Terumi Tanaka. Der 92-Jährige überlebte als 13-Jähriger die Detonation der US-Atombombe „Fat Man“ – nur wenige Kilometer von seinem Elternhaus in Nagasaki entfernt. Für sein unermüdliches und jahrzehntelanges Engagement gegen die Verbreitung von Atomwaffen erhielt er im Dezember 2024 den Friedensnobelpreis.

Prof. Dr. Terumi Tanaka, Friedensnobelpreisträger 2024 | © Imago

Prof. Dr. Terumi Tanaka, Friedensnobelpreisträger 2024 | © Imago

Herr Prof. Dr. Tanaka, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Gerne möchten wir Sie zu allererst fragen: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Terumi Tanaka: Es ist mir eine große Ehre, heute dieses Interview geben zu dürfen. Nun zu Ihrer Frage: Demokratie bedeutet für mich in erster Linie Freiheit. Damit wir Menschen in Freiheit leben können, müssen in einer Demokratie die Menschenrechte und die Rechte eines jeden Einzelnen respektiert und geschützt werden.

Jeder von uns sollte ein Leben in Frieden und Freiheit und ohne Angst führen können!

Jeder von uns sollte ein Leben in Frieden und Freiheit und ohne Angst führen können – dieses Menschenrecht charakterisiert für mich eine der tragenden Säulen unserer Demokratie. Dafür sollten und müssen wir uns immer einsetzen, denn leider ist der Wert der Demokratie noch nicht in den Köpfen aller Menschen angekommen.

Europa und Deutschland wollen in Sorge vor Russland massiv aufrüsten. Dabei hat die verbale Aufrüstung – beispielsweise in den täglichen Polit-Talks – längst begonnen. Warum können wir nicht in Frieden leben?

Terumi Tanaka: So lange sich die Menschheit den Besitz von Atomwaffen „erlaubt“ und mit deren Einsatz droht, wird es keinen echten Frieden geben.

So lange es Menschen gibt, die Nuklearwaffen befürworten, bleibt ein friedliches Zusammenleben reine Fiktion.

So lange es Menschen gibt, die Nuklearwaffen befürworten, bleibt ein friedliches Zusammenleben reine Fiktion – eine Illusion, die sich in letzter Konsequenz selber zerstören wird.

Russland hat tausende Atomwaffen, Europa hingegen – zumindest ohne die USA als NATO-Mitglied – deutlich weniger. Brauchen wir ein atomares Gleichgewicht? Was denken Sie über die Logik der nuklearen Abschreckung?

Terumi Tanaka: Ein atomares Gleichgewicht zu schaffen halte ich für unmöglich. Die Herstellung von Atomwaffen benötigt viel Energie, Geld und Know-how. Es ist ausgeschlossen, dass all jene Staaten, die Atomwaffen besitzen oder danach streben, gleichermaßen auf diese Ressourcen zugreifen können. Insofern wird es immer auch Länder geben, denen es nicht – und vielleicht nie – möglich sein wird, Atomwaffen zu entwickeln geschweige denn diese herzustellen.

Ich bin davon überzeugt, dass ein atomares Gleichgewicht utopisch ist und wir alles dafür tun sollten, Atomwaffen abzuschaffen!

Wenn kleine NATO-Mitgliedsstaaten nuklear aufrüsten, hätten sie dennoch nie die gleiche „Macht“ wie die beiden großen Atommächte. Nur die Staaten, die große Mengen Atomwaffen besitzen, können damit anderen drohen. Daher bin fest davon überzeugt, dass ein atomares Gleichgewicht utopisch ist und wir vielmehr alles dafür tun sollten, Atomwaffen endlich abzuschaffen.

Sie waren 13 Jahre alt, als am 9. August 1945 – nur 3,2 Kilometer von Ihrem Haus in Nagasaki entfernt – die US-Atombombe „Fat Man“ detonierte. Wie haben Sie diesen Moment erlebt, wie die Minuten und Stunden danach?

Terumi Tanaka: Unmittelbar vor der Detonation habe ich das typische Dröhnen eines Bombers wahrgenommen. Ich habe mich gefragt, warum das Flugzeug ganz alleine unterwegs ist. Denn zuvor wurde nie ein einzelner Bomber – ganz ohne Begleitung – für einen Angriff auf eine Stadt eingesetzt.

Ich habe das typische Dröhnen eines Bombers wahrgenommen. Dann erhellte ein weißes Licht die gesamte Umgebung.

Dann, nur Sekunden später, erhellte ein weißes Licht die gesamte Umgebung. Obwohl ich nicht wusste, was geschehen war, legte ich mich geistesgegenwärtig flach auf den Boden – meine Augen und Ohren habe ich so gut es ging mit den Händen geschützt. Das war alles, was ich in dem Moment tun konnte.

Die Druckwelle war so gewaltig, dass die eine Hälfte unseres Hauses sofort einstürzte!

Als nächstes spürte ich eine unvorstellbar heftige Druckwelle. Diese war so gewaltig, dass die eine Hälfte unseres Hauses sofort einstürzte und die Einrichtung meterweit durch die Luft wirbelte. Dass ich überlebt habe verdanke ich vermutlich zwei „glücklichen“ Umständen: Zum einen befand sich mein Elternhaus 3,2 Kilometer vom Epizentrum der Atombombenexplosion entfernt. Zum anderen stand zwischen unserem Haus und dem Epizentrum ein kleiner Berg, der die Wucht der Detonation ein wenig bremste.

Der Atombombenabwurf von Nagasaki jährt sich in diesem Jahr zum 80. Mal. Gibt es ein Bild, dass Ihnen bis heute im Gedächtnis geblieben ist, oder eine Situation, an die Sie sich noch heute gut erinnern können?

Terumi Tanaka: Es gibt zwei Dinge, die ich niemals vergessen werde. Erstens: Den Moment, in dem urplötzlich die Welt und alles um mich herum von einem weißen Licht „verschluckt“ wurde. Zweitens: Die Grausamkeiten, die ich drei Tage später im Zentrum der Detonation sehen musste. Denn um zu wissen, wie es meinen beiden Tanten ging – die eine wohnte rund 400 Meter, die andere rund 700 Meter vom Zentrum der Detonation entfernt – musste ich mich in Richtung des Epizentrums vorwagen.

Im Umkreis von drei bis vier Kilometern war nichts mehr übrig. Von den Gebäuden aus Stahlbeton blieben nur die Außenwände stehen.

Im Umkreis von drei bis vier Kilometern war nichts mehr übrig. Von den Gebäuden aus Stahlbeton blieben nur die Außenwände stehen. Soweit das Auge reichte ragten verbogene Stahlträger aus dem Beton – wanden sich bedrohlich wie Schlangen in den Himmel.

Alles war zerstört. Und überall lagen tote oder schwerstverwundete Menschen auf dem Boden!

Alles war zerstört. Und überall lagen – auch drei Tage nach der Detonation – tote oder schwerstverwundete Menschen auf dem Boden. An diese Grausamkeit, diese Anblicke erinnere ich mich noch heute ganz genau. All das hat sich in meinem Gedächtnis eingebrannt!

Heute weiß ich – es herrschte Krieg. Aber Atombomben einzusetzen, das ist ein Verbrechen! Ich werde meine beiden Tanten, meinen Großvater, Cousin und Onkel niemals vergessen, die durch dieses sinnlose Verbrechen ums Leben kamen. Niemals!

„Global Zero“ – Vision oder Illusion? Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die Zukunft wagen. Denken Sie, dass eine atomwaffenfreie Welt eines Tages möglich sein wird oder haben wir diese Chance bereits verpasst?

Terumi Tanaka: Die Frage lautet nicht, ob die Abschaffung von Atomwaffen möglich ist oder nicht, sondern vielmehr, wie wir die Atomwaffenarsenale dieser Welt leeren können. Dafür müssen wir uns alle gemeinsam stark machen. Wir haben keine andere Wahl!

Mittlerweile existieren Nuklearsprengköpfe mit der tausendfachen Zerstörungskraft von Nagasaki.

Die Atombomben, die über Hiroshima oder Nagasaki abgeworfen wurden, waren einhundertmal kleiner als die Atomwaffen von heute. Und schon diese vergleichsweise „kleinen“ Atomwaffen haben hunderttausende Menschenleben gefordert. Mittlerweile existieren Nuklearsprengköpfe mit der tausendfachen Zerstörungskraft von Nagasaki.

Wenn wir die Existenz solcher Waffen weiterhin zulassen, werden diese uns Menschen früher oder später auslöschen!

So lange solche Waffen existieren hat die Menschheit keine Zukunft! Wenn wir die Existenz solcher Massenvernichtungswaffen weiterhin zulassen, werden diese uns Menschen früher oder später auslöschen – davon bin ich leider zutiefst überzeugt.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir alles – wirklich alles – dafür tun, um die Atomwaffen endlich abzuschaffen.

Herr Prof. Dr. Tanaka, unsere siebte Frage ist immer eine persönliche: Bis zum “Hakuju” – dem 99. Geburtstag – ist noch viel Zeit, Ihr 93. Lebensjahr hingegen beginnt in wenigen Tagen. Wie und mit wem werden Sie feiern?

Terumi Tanaka: Am 29. April werde ich ein Jahr älter. Leider kann ich mir jedoch nur schwerlich vorstellen, dass die Anzahl der Atomwaffen bis zum 29. April spürbar reduziert wird. Unter diesen Umständen kann ich meinen Geburtstag nicht so glücklich und unbeschwert feiern, wie ich es mir wünschen würde. 

Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, aber so lange ich atme, werde ich mich für die Abschaffung der Atomwaffen einsetzen.

Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, aber so lange ich atme, werde ich mich für die Abschaffung der Atomwaffen einsetzen. Das ist meine Pflicht.

Junge Menschen sind es, die unsere Zukunft gestalten und sich aus der nuklearen Geiselhaft befreien können!

Mein sehnlichster Wunsch ist, dass sich insbesondere junge Menschen für die Abschaffung der Atomwaffen engagieren. Junge Menschen sind es, die unsere Zukunft gestalten und sich aus der nuklearen Geiselhaft befreien können – dazu möchte ich Sie alle ermutigen!

Vielen Dank für das Interview Herr Prof. Dr. Tanaka!

Unser besonderer Dank geht an Herrn Yasuo Inadome und Herrn Minoru Tsunoda, deren herausragendes Engagement dieses Interview erst ermöglicht hat!
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