„Demokratie verpflichtet – jeden von uns!“
Julia Klöckner (47) ist seit März 2018 Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Als solche ist die gebürtige Bad Kreuznacherin für die Ausrichtung der deutschen Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik verantwortlich. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Julia Klöckner über Demokratie, das EU-Mercosur-Abkommen und die Frage, ob Lobbyismus „demokratieverträglicher“ werden muss.
Frau Klöckner, als neues Gesicht in der Riege der Gesichter der Demokratie möchten wir Sie gerne zu allererst fragen: Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Julia Klöckner: Demokratie bedeutet für mich: Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Toleranz – sie sind das Fundament unseres friedlichen Zusammenlebens und müssen es auch bleiben. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie ist eine Errungenschaft – um die wir immer wieder auch ringen müssen. Das wird uns aktuell in Belarus wieder vor Augen geführt, wo Menschen für demokratische Werte und Grundrechte auf die Straße gehen.
Demokratie verpflichtet – jeden von uns!
Demokratie zu erhalten und zu leben, das ist eine Daueraufgabe – weltweit, aber auch hier in Deutschland. Das spüren wir in der Corona-Pandemie, wo es auch Unzufriedenheiten und große Alltagherausforderungen gibt. Das sollte aber niemals dazu führen, Freiheit und Demokratie in Frage zu stellen. Demokratie verpflichtet – jeden von uns!
Im Mai hat die EU-Kommission im Rahmen des European Green Deal die Biodiversitäts- und „Farm-to-Fork“-Strategie vorgestellt. Was bedeuten die Maßnahmen konkret für Landwirtschaft, Handel und Verbraucher?
Julia Klöckner: Die Farm-to-Fork- und die Biodiversitäts-Strategie geben ein schönes Bauchgefühl wieder – gegossen in quantitative Zahlen. Da steht drin: 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel, und fragt man Verbraucher, wären auch minus 70 oder auch 90 Prozent recht. Nur wird es dann schwierig, Ernten zu sichern. Aber wie wichtig die Ernährungssicherung ist und was es in den Bürgern auslöst, wenn sie vor halbleeren Regalen stehen, das hat Corona doch gezeigt. Als Verbraucher schneiden wir uns ins eigene Fleisch, wenn wir nur Erwartungen an die Landwirtschaft haben, aber die Landwirte nicht dabei begleiten, diesen Umbau hinzubekommen.
Die Ökologie, die Ökonomie und das Soziale müssen zusammengedacht werden. Nur das ist wirklich nachhaltig.
Die europäische Agrarwirtschaft ist weltweit führend was das Thema Technik, Modernität, Ertragssicherung und Ambitionen im Umwelt- und Naturschutz anbelangt. Diese Auflagen machen die Produktion teurer. Deshalb sage ich: Die Ökologie, die Ökonomie und das Soziale müssen zusammengedacht werden. Nur das ist wirklich nachhaltig.
Die Landwirtschaft ist vom Wetter abhängig – dennoch trägt sie auch zum Klimawandel bei. Wie reagieren die Landwirte auf die Dürrejahre 2018, 2019 und 2020? Inwieweit müssen sich Landwirte und Verbraucher umstellen?
Julia Klöckner: Der Klimawandel trifft unsere Landwirte als allererste. Sie spüren die Auswirkungen ganz unmittelbar, wenn zu nasse oder trockene Jahre Teile ihrer Ente zerstören. Die Sorgen nehmen wir deshalb sehr ernst. Und wir helfen, treffen Vorkehrungen. Ich habe mich zum Beispiel für die sogenannte Gewinnglättung eingesetzt, die seit März in Kraft ist. Unsere Bauern können so gute und schlechte Erntejahre steuerlich ausgleichen. Das ist eine wirksame Maßnahme. Zudem haben wir den Steuersatz bei der Dürreversicherung auf 0,3 Promille der Versicherungssumme abgesenkt.
Die Landwirtschaft muss ihre Wirtschaftsweise anpassen. Dafür habe ich eine Ackerbaustrategie vorgelegt.
Das ist das eine. Das andere ist, dass die Landwirtschaft selbst ihre Wirtschaftsweise anpassen muss. Dafür habe ich eine Ackerbaustrategie vorgelegt: Wir brauchen veränderte Fruchtfolgen mit mindestens fünf verschiedenen Ackerfrüchten, Humus müssen wir gezielt aufbauen, um die Bodenfeuchte besser speichern zu können oder die Auswahl möglichst trockenstresstoleranter Sorten.
Im Amazonas-Regenwald wüten auch 2020 schwere Waldbrände. Jair Bolsonaro will jedoch nicht die Feuer, sondern die Kritik mit „richtigen Zahlen“ bekämpfen. War das EU-Mercosur-Abkommen ein Fehler?
Julia Klöckner: Dass Mercosur-Abkommen ist noch nicht beschlossen. Dass es ratifiziert wird, da bin ich skeptisch. Denn derzeit sieht es nicht danach aus, dass Umweltziele, die uns Europäern wichtig sind, von einem Land wie Brasilien eingehalten werden.
Wir können unseren Landwirten wohl kaum vermitteln, dass in Deutschland Wald aufgeforstet wird, während in Brasilien die Wälder gerodet werden.
Und wir können unseren Landwirten wohl kaum vermitteln, dass in Deutschland mit viel Mühe Wald aufgeforstet wird und Blühstreifen zum Schutz der Biodiversität gefordert und angelegt werden, während in Brasilien die Wälder gerodet werden, um dort riesige Monokulturen anzulegen. Hier werden dann unter ungleich günstigeren wirtschaftlichen Bedingungen Konkurrenzprodukte für den europäischen Markt erzeugt – das kann nicht sein. Solange das der Fall ist, halte ich eine Unterschrift unter den Vertrag für falsch. Das wäre dann auch ein massiver Wettbewerbsnachteil.
Der Begriff Lobbyismus gilt gemeinhin als negativ konnotiert: Wie muss gute Lobbyarbeit Ihrer Meinung nach aussehen und inwiefern ist es sinnvoll oder gar notwendig, Lobbyismus „demokratieverträglicher“ zu machen?
Julia Klöckner: Jeder Mensch, jede Berufsgruppe, jeder Verein und Verband hat Interessen. Diese zu artikulieren ist wesentlicher Bestandteil einer pluralistischen Demokratie. Eine Einteilung in gute und schlechte Interessen finde ich daher schwierig – das kann nicht die Kategorie sein. Aufgabe von Politik ist es vielmehr, die verschiedenen Interessen zu strukturieren, gegeneinander abzuwägen und zu hinterfragen, um auf dieser Informationsgrundlage bestmögliche Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls zu treffen. Entscheidend ist, dass diese Prozesse transparent und nachvollziehbar sind.
Vor zwei Jahren erschien Ihr Buch „Nicht verhandelbar: Integration nur mit Frauenrechten“. Warum haben Sie dieses Buch geschrieben und was denken Sie über das aktuelle Urteil zum Kopftuch an Berliner Schulen?
Julia Klöckner: Warum das Buch? Weil ich nicht will, dass wir bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau Rückschritte machen. Wir müssen insbesondere darauf achten, dass auch im Zuge von Einwanderung und der Integration Frauenrechte geschützt werden. Und hier drängt sich mir der Eindruck auf, dass sich manche da verkämpfen, wo es nichts „kostet“, wo es nicht um die elementaren Probleme geht. Denn wer die Nationalhymne gendergerecht umschreiben will oder jedem Ausgrenzung vorwirft, der die Sternchenschreibweise nicht nutzt, der verliert den Blick für die wirklichen Herausforderungen in der Frauenförderung.
Kinder brauchen Freiräume, wo es eben keine kruden Geschlechterbilder gibt. Und das sollte die Schule sein!
Es brauchen solche Frauen unsere Solidarität, die in patriarchalisch geprägten Familien aufwachsen und nicht selbstbestimmt und gleichwertig ihr Leben in Deutschland leben dürfen. Oder die sich von Männern gemachten Kleiderordnungen bis hin zur Vollverschleierung und Unkenntlichmachung beugen müssen. Und deshalb halte ich auch nichts von Kopftüchern für Kinder. Sie brauchen Freiräume, wo es eben keine kruden Geschlechterbilder gibt. Und das sollte die Schule sein.
Frau Klöckner, in unserer letzten Frage möchten wir gerne etwas Persönliches über Sie erfahren: Was machen Sie, wenn Sie sich nicht gerade mit Ernährung und Landwirtschaft beschäftigen?
Julia Klöckner: Diese Zeitfenster sind rar gesät (lacht). Wenn es der Terminkalender zulässt und ich in meiner Heimat bin, fahre ich gerne mit dem Rennrad durch unsere wunderschöne Landschaft – an der Nahe entlang oder durch den Hunsrück.
Auf dem Rad kriege ich am besten den Kopf frei.
Auf dem Rad kriege ich am besten den Kopf frei. Einen freien Abend verbringe ich am liebsten ohne Akten und Termine: Mit meinem Mann oder Freunden bei einem Glas Wein und gutem Essen – die Zeit einfach laufen lassen.