„Freiheit kann es nicht ohne Demokratie geben!“
Christian Lindner (38) ist Bundesvorsitzender der Freien Demokraten und Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Von 2009 bis 2012 war der gebürtige Wuppertaler Mitglied des Deutschen Bundestages und bis 2011 zudem Generalsekretär der Bundes-FDP. Lindner ist Spitzenkandidat seiner Partei bei der diesjährigen Bundestagswahl. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Christian Lindner über Demokratie, Populismus und europäischen Grenzschutz.
Herr Lindner, welchen Stellenwert haben Demokratie und liberale demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Christian Lindner: Ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Das ist auch der Grund, warum ich mich bei der liberalen Partei in Deutschland engagiere. Freiheit kann es nicht ohne Demokratie geben. Und ich bin stolz auf unser Grundgesetz und seinen liberalen Werte-Kanon.
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung stimmt fast jeder dritte Deutsche populistischen Aussagen zu. Populistisch eingestellte Menschen in Deutschland vertreten jedoch eher moderate Ansichten. Besorgt oder beruhigt Sie dieses Ergebnis?
Christian Lindner: Ein solcher Befund kann einen nicht beruhigen. Wir erleben ja, dass populistische Aussagen und gefälschte Nachrichten uns vor eine neue Herausforderung stellen. Der amerikanische Präsident hat leider diese Form der Desinformation befördert und in Teilen salonfähig gemacht. Was mich hingegen beruhigt: Viele deutsche Medien haben diese Herausforderung angenommen und arbeiten dem entschieden entgegen und prüfen, was hinter populistischen Verkürzungen oder möglichen Falschnachrichten steckt. Das ist aber auch ein Auftrag an jeden von uns, die Dinge immer kritisch zu hinterfragen.
Die Meinungs- und Informationsfreiheit spielt in liberalen Demokratien eine entscheidende Rolle. Was darf man sagen und wo verläuft die Grenze zu Beleidigung oder Volksverhetzung? Können Sie uns ein aktuelles Beispiel nennen?
Christian Lindner: Die Möglichkeit seine Meinung frei zu äußern ist ein elementares Grundrecht. Sie endet dort, wo die Freiheit eines anderen beschnitten wird. Wo genau diese Grenze verläuft, ist oftmals nicht einfach zu sagen. Ich halte es aber auch nicht für meine Aufgabe, das zu entscheiden. Im Zweifel muss dafür der Rechtsweg beschritten werden.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schafft weniger und nicht mehr Freiheit!
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat Justizminister Maas ein Regelwerk entworfen, das eine gute Absicht verfolgt, aber meines Erachtens ungeeignet ist. Denn die Verpflichtung, dass Soziale Netzwerke beleidigende Kommentare löschen müssen, verlagert die rechtliche Überprüfung weg von der Justiz zu den Netzwerken. Da diese gleichzeitig Sorge vor hohen Bußgeldern haben müssen, wenn sie ihren Lösch-Pflichten nicht nachkommen, werden sie eher zu viel als zu wenig löschen. Das schafft Raum für eine Art vorauseilende Zensur. Das schafft leider weniger und nicht mehr Freiheit.
Erst vor wenigen Tagen hat der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatz-Urteil die geltenden EU-Asylregeln bestätigt – zum Leidwesen der Länder mit europäischen Außengrenzen. Wie gerecht ist das EU-Asylrecht?
Christian Lindner: Die Dublin-Vereinbarung hat sicher ihre Schwächen. Aber dieses noch etwas unvollkommene Regelwerk halte ich für besser, als gar keine Regeln zu haben. Wenn wir innerhalb Europas die Freizügigkeit erhalten wollen, brauchen wir einen wirksamen Grenzschutz nach außen. Das bedeutet nicht Abschottung, sondern Zuzug nach klaren Regeln.
Besser die Dublin-Vereinbarung als gar keine Regeln!
Wir brauchen einerseits eine leichtere Möglichkeit, dass Menschen in Not schon außerhalb der EU auch Asyl beantragen können. Das würde auch die illegalen Schleuser-Aktivitäten ausbremsen. Zum anderen brauchen wir eine Zuwanderungsstrategie für qualifizierte Kräfte. Und wir brauchen einen wirksamen Grenzschutz, der europäische organisiert werden sollte. Wer als Flüchtling zu uns kommt, mit dem sollten wir solidarisch sein und Aufenthalt gewähren, solange er nicht zurückkehren kann. Aber danach muss die Rückkehr eben auch die Regel sein.
Stichwort „Spitzenkandidat im Unterhemd“: Unkonventionelle Wahlwerbespots in sozialen Netzwerken haben maßgeblichen Einfluss auf die Meinungsbildung. Wird die Bundestagswahl 2017 im Internet entschieden?
Christian Lindner: Die Kommunikation in den Sozialen Netzwerken und dem Internet gewinnt an Bedeutung – keine Frage. Aber entschieden wird die Wahl dort nicht. Man sollte nicht unterschätzen, wie informiert viele Bürgerinnen und Bürger sind, welchen Einfluss Plakate, Veranstaltungen und die Berichterstattung in klassischen Medien im Wahlkampf haben. In den Sozialen Netzwerken können Menschen einem folgen und ich kann ihnen auch andere Facetten meiner Tätigkeit zeigen, als offline.
Herr Lindner, angenommen die FDP schafft im Herbst ein Comeback in den Deutschen Bundestag. Bei allem, was dann in den kommenden vier Jahren auf Sie zukommt: Wovor haben Sie am meisten Respekt?
Christian Lindner: Die Wählerinnen und Wähler haben 2013 der FDP mit der Abwahl aus dem Deutschen Bundestag den Auftrag gegeben, sich zu erneuern.
Der Erneuerungsprozess der Freien Demokraten endet nicht am Tag der Bundestagswahl.
Das haben wir nun außerhalb des Bundestags getan. Aber dieser Erneuerungsprozess der Freien Demokraten endet nicht am Tag der Bundestagswahl, sondern geht dann auf einer neuen Ebene weiter. Wenn die Wählerinnen und Wähler uns am 24.09.2017 das Vertrauen aussprechen und uns in den Bundestag wählen, wird die Herausforderung sein, mit diesem Vertrauensvorschuss achtsam umzugehen und die erneuerte FDP im Parlament zu zeigen.
Als bekennender Motorsportfan lautet Ihr Lieblingsthema abseits der Politik: „Alles was mit Benzin betankt werden kann.“ Was fasziniert Sie am Motorsport und gibt es Parallelen zwischen Rennfahrern und Politikern?
Christian Lindner: Im Motorsport sagt man: In einer Kurve sollte man nicht in die Leitplanke schauen, sondern auf den Kurvenausgang, wo man hinwill. Das gilt mit Sicherheit auch in der Politik.