„Weder absolute Sicherheit noch grenzenlose Freiheit sind möglich!“
Der Bundesnachrichtendienst arbeitet im Auftrag der Bundesregierung. Aufgabe der Behörde ist es, die Bundesregierung mit Informationen zu wichtigen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Fragestellungen zu versorgen. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes Dr. Bruno Kahl über demokratische Grundwerte im fragilen Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit.
Herr Dr. Kahl, seit der Gründung der Initiative Gesichter der Demokratie lautet unsere erste Frage stets: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Dr. Bruno Kahl: Man läuft bei uns in Deutschland schnell Gefahr, Demokratie als etwas Selbstverständliches hinzunehmen und zum Beispiel nur noch dann wählen zu gehen, wenn man sich ausreichend von den Parteien „mobilisiert“ fühlt. Demokratie ist aber weder eine Einbahnstraße noch eine Selbstverständlichkeit. Demokratie heißt für mich, sein Schicksal in die Hand zu nehmen und dafür eben auch eine entsprechende Verantwortung zu tragen.
Die Demokratie befindet sich in einem fragilen Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit. Spätestens seit den Terroranschlägen in Berlin wächst das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen. Wie stark muss die Freiheit eingeschränkt werden, um Sicherheit zu gewährleisten?
Dr. Bruno Kahl: Weder absolute Sicherheit noch grenzenlose Freiheit sind möglich. In Deutschland haben wir zum Beispiel nicht die uneingeschränkte Freiheit, Waffen zu tragen, Beamte dürfen nicht streiken, Straftäter werden eingesperrt. Diese Einschränkungen persönlicher Freiheit geschehen auf Grundlage unserer Gesetze und im Interesse der Gemeinschaft.
Und um zu gewährleisten, dass im Geheimen agierende Terrorgruppen nicht unbehelligt die öffentliche Sicherheit in Deutschland gefährden, ist eben auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel notwendig. Auch damit werden zwar grundsätzlich Freiheitsrechte eingeschränkt. Wir tun dies aber auf demokratisch legitimiertem Weg. Zudem gibt es eine Vielzahl rechtlicher Hürden und Kontrollinstanzen, die sicherstellen, dass alle Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Seit Inkrafttreten des neuen BND-Gesetzes Anfang 2017 darf der Bundesnachrichtendienst die Kommunikation von Journalisten im außereuropäischen Ausland überwachen, wenn es im politischen Interesse Deutschlands liegt. Wie „frei“ ist die Presse dann überhaupt noch?
Dr. Bruno Kahl: Die Rechtslage für Journalisten hat sich durch das neue BND-Gesetz nicht geändert. Jeder andere Auslandsnachrichtendienst der Welt hat im Vergleich zum BND mindestens die gleichen, meist sogar noch weitergehende Befugnisse. Auch sind ausländische Journalisten im Ausland genauso frei oder unfrei wie vorher. Das hängt eher von dem Land ab, in dem sie tätig sind. Denn die Pressefreiheit wird nicht durch den BND bedroht, sondern von Regierungen und Nachrichtendiensten totalitärer Staaten.
In dem neuen BND-Gesetz sind besondere Schutzvorgaben für EU-Bürger geregelt. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Briten nach dem EU-Austritt wieder weitestgehend unbeschränkt abgehört werden dürfen?
Dr. Bruno Kahl: Es ist richtig, dass die EU-Bürger in besonderem Maße gesetzlich geschützt sind. Das Vereinigte Königreich ist und bleibt für uns ein sehr wertvoller Partner, mit dem wir seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammenarbeiten. Uns ist daran gelegen, dass dies auch nach einem Brexit so bleiben wird.
Die „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ wird seit Jahresbeginn durch ein unabhängiges Gremium überprüft. Verlangsamt eine weitere Kontrollinstanz die geheimdienstlichen Maßnahmen des Bundesnachrichtendienstes nicht zusätzlich?
Dr. Bruno Kahl: Überhaupt nicht. Hier geht es um strategische Entscheidungen, keine kurzfristig notwendigen Überwachungsmaßnahmen. Das Unabhängige Gremium sehe ich als Chance, mit dem Vorurteil unkontrollierbarer Nachrichtendienste nachhaltig aufzuräumen.
Herr Dr Kahl, als Präsident des Bundesnachrichtendienstes zählen Sie zu den bestbewachten Menschen in Deutschland. Inwieweit müssen Sie persönliche Freiheiten zum Schutz Ihrer Sicherheit einschränken? Können Sie noch „normal“ einkaufen gehen?
Dr. Bruno Kahl: Die Einschränkungen sind kaum der Rede wert, weil meine Personenschützer ihren Job hochprofessionell erledigen. Ich fühle mich sicher und trotzdem frei genug.