• 4. Oktober 2017

Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen

„Wenn es selbstverständlich wäre, würde ja kein Hahn danach krähen!“

Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen

Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen 150 150 Sven Lilienström

„Wenn es selbstverständlich wäre, würde ja kein Hahn danach krähen!“

Boris Palmer (45) ist seit dem Jahr 2007 Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen. Palmer ist Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und steht für blaues Wachstum: Prosperität und Lebensqualität ohne Natur und Klima zu überlasten. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Oberbürgermeister Boris Palmer über Demokratie, Integration und Videoüberwachung im öffentlichen Raum.

Boris Palmer, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen

Boris Palmer, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen

Herr Oberbürgermeister, seit der Gründung der Initiative Gesichter der Demokratie lautet unsere erste Frage: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Boris Palmer: Mein Vater war ein sehr streitbarer Demokrat. Mein elterliches Haus ist voll mit Aufforderungen zur Einmischung in die Demokratie und zur Wahrnehmung des Rechts auf eine eigene Meinung.

Ich kann mir ein Leben ohne die Chance, selbst Einfluss auf das Gemeinwesen zu nehmen, gar nicht vorstellen!

Ich kann mir ein Leben ohne die Chance, selbst Einfluss auf das Gemeinwesen zu nehmen, gar nicht vorstellen. Und die habe ich wegen „niedriger Geburt“ nur dank der Demokratie.

Das Thema innere Sicherheit spielt bei der Bundestagswahl 2017 eine herausragende Rolle. Wurde die innere Sicherheit in den vergangenen Jahren zu stiefmütterlich behandelt?

Boris Palmer: Im Allgemeinen nicht. Aber es gibt einen Teilbereich der inneren Sicherheit, der die Menschen in besonderer Weise bewegt – das sind Übergriffe im öffentlichen Raum. Diese sind nach wie vor selten, aber ihre Zahl steigt doch stark an.

Es ist für die Gesellschaft besonders erschütternd, dass die Täter häufig Asylbewerber sind – Menschen also – denen wir gerade erst geholfen haben, ein neues Leben bei uns zu beginnen.

Diese Straftaten gewinnen darüber hinaus an Vehemenz und Schockwirkung. Und schließlich ist es für die Gesellschaft besonders erschütternd, dass die Täter häufig Asylbewerber sind – Menschen also – denen wir gerade erst geholfen haben, ein neues Leben bei uns zu beginnen. Darauf fehlt der Politik bisher eine schlüssige Antwort.

Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird kontrovers diskutiert. Brauchen wir mehr Videoüberwachung, um Straftaten zu verhindern bzw. aufzuklären? Wie ist der Status quo in Tübingen?

Boris Palmer: Wir haben dieses Instrument bisher in Tübingen nicht genutzt, ich halte es aber für möglich, dass wir dazu kommen müssen.

Datenschutzbedenken halte ich in einer Welt von „Big Data“ zumindest nicht mehr so entscheidend, wie Ende der 80er Jahre.

Videoüberwachung kann zur Abschreckung von Taten ebenso beitragen, wie zur Überführung der Täter. Die Datenschutzbedenken halte ich in einer Welt von „Big Data“ zumindest nicht mehr so entscheidend, wie Ende der 80er Jahre.

Integration ist immer ein wechselseitiger Prozess: Wie leben Zugewanderte und die heimische Bevölkerung in Tübingen – überwiegend Gegeneinander, Nebeneinander oder Miteinander?

Boris Palmer: Gegeneinander so gut wie gar nicht. Ein Drittel der Menschen in der Stadt hat einen Migrationshintergrund. Nebeneinander und Miteinander in verschiedenen Prägungen würde ich sagen.

Der Titel Ihres kürzlich vorgestellten Buches lautet: „Wir können nicht allen helfen“. Ist solch ein öffentlichkeits- und medienwirksames Betonen einer Selbstverständlichkeit nicht auch ein wenig populistisch?

Boris Palmer: Nein! Wenn es selbstverständlich wäre, würde ja kein Hahn danach krähen. Der Titel will dazu beitragen, dass wir uns die Freiheit wieder erarbeiten sollten, Selbstverständliches nüchtern auszusprechen, ohne in eine Debatte über Populismus oder gar Rechtsradikalismus und Rassismus gezerrt zu werden.

„Tübingen macht blau“ ist das Motto der städtischen Klimaschutzkampagne in Tübingen: Wie umwelt- bzw. klimafreundlich ist Tübingen – auch im Vergleich zu anderen Städten in Baden-Württemberg?

Boris Palmer: Wir konnten die CO2-Emissionen pro Kopf in den letzten zehn Jahren um 25 Prozent senken. Das ist auch hierzulande ein Spitzenwert. Wir stehen unmittelbar vor der Auszeichnung durch den „European Energy Award“ in Gold – eine seltene Würdigung.

Wir konnten die CO2-Emissionen pro Kopf in den letzten zehn Jahren um 25 Prozent senken. Das ist auch hierzulande ein Spitzenwert.

Noch eine Zahl: Die Stadtwerke erzeugen bereits heute 50 Prozent des gesamten Strombedarfs aller Verbraucher mit eigenen Anlagen aus erneuerbaren Energien.

Herr Palmer, wir haben Sie in Ihrem Urlaub mit einem E-Mail-Reminder „gestresst“. Wo waren Sie in Ihrer Auszeit und muss ein Oberbürgermeister selbst im Urlaub noch persönlich erreichbar sein?

Boris Palmer: Tatsächlich muss ich für unaufschiebbare Angelegenheiten erreichbar sein. Zum Glück sind aber die meisten Aufgaben aufschiebbar. Darunter mussten Sie jetzt leiden. Ich war in Italien und Frankreich und habe die Vorzüge europäischer Kulturlandschaften genossen.

Vielen Dank für das Interview Herr Palmer!

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