„Wehrhafte Demokratie muss nach innen und außen verteidigt werden!“
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist seit April 2022 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seit 2009 sitzt die 55-jährige gebürtige Rheinerin im Deutschen Bundestag. Paus ist alleinerziehende Mutter und lebt mit ihrem Sohn in Berlin. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Lisa Paus über Demokratie, das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland.
Frau Paus, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Die erste Frage an die „Gesichter der Demokratie“ lautet immer: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Lisa Paus: Für mich sind Demokratie und demokratische Werte von fundamentaler Bedeutung. Sie sind Ausdruck des Wertekanons, den wir als Gesellschaft teilen – also die Basis für unser Zusammenleben.
Ich will mich aktiv einbringen, für demokratische Prinzipien eintreten und unsere Gesellschaft voranbringen!
Demokratische Werte haben mich auch zur Politik gebracht: Ich will mich aktiv einbringen, für demokratische Prinzipien eintreten und unsere Gesellschaft voranbringen – ein besseres Amt als das der Gesellschaftsministerin kann ich mir kaum vorstellen.
Für viele Menschen hierzulande ist die liberale Demokratie etwas Selbstverständliches – etwas schon immer Dagewesenes. Haben wir, die Nachkriegsgeneration, Demokratie verlernt? Wenn ja, was sind die Gründe hierfür?
Lisa Paus: Ich denke nicht, dass wir als Gesellschaft die Demokratie verlernt haben. Allein die 29 Millionen Menschen, die sich in unserem Land mit ganzer Kraft für Demokratie und Vielfalt und gegen Hass und Hetze engagieren, beweisen das Gegenteil.
Wir alle haben es mit multiplen Krisen zu tun, die viele verunsichern.
Zugleich haben wir alle es mit multiplen Krisen zu tun, die viele verunsichern. Und Extremisten aller Art nehmen das gezielt zum Anlass, das Vertrauen der Menschen in demokratische Verfahren und Institutionen zu schwächen. Diese Gefahr sollten wir sehr ernst nehmen. Auch darum will ich mit dem Demokratiefördergesetz jene nachhaltig und verlässlich unterstützen, die sich für Demokratie engagieren.
Stichwort „Demokratiefördergesetz“: Geplant war, das Gesetz noch vor der Sommerpause im Bundestag final zu verabschieden. Das war vor mehr als sechs Monaten, passiert ist nichts. Woran hapert es?
Lisa Paus: Die Bundesregierung hat den Entwurf bereits Ende letzten Jahres beschlossen. Die parlamentarischen Beratungen waren langwierig, sind aber weit fortgeschritten. Ich bin sicher, die Ampelfraktionen werden das Gesetz nun zügig verabschieden.
Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ fördert seit 2015 innovative und nachhaltig wirkende Projekte zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention. Warum ist das Programm so wichtig?
Lisa Paus: Die garantierten Grundrechte müssen gesellschaftlich immer wieder neu gelebt, verteidigt und weiterentwickelt werden: Sei es im täglichen Miteinander, das auch auf politischer Ebene respektvoll sein sollte – oder im ehrenamtlichen Engagement für gesellschaftlichen Zusammenhalt. All das bildet das Rückgrat unserer Demokratie.
„Demokratie leben!“ ist europaweit einzigartig.
„Demokratie leben!“ ist das mit Abstand größte Bundesprogramm zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention – europaweit ist es sogar einzigartig. Ich halte „Demokratie leben!“ für den zentralen Pfeiler der Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung.
Dieses Jahr standen rund 182 Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung. Gemessen am geplanten Verteidigungsetat für 2024 mit 51,8 Milliarden Euro eher überschaubar. Warum ist uns unsere Demokratie so wenig wert?
Lisa Paus: Ich finde diesen Vergleich etwas schief: Denn die wehrhafte Demokratie muss sowohl nach innen als auch nach außen verteidigt werden – und letztlich auch von allen Ressorts zusammen.
Wir haben mehr als 350 Partnerschaften für Demokratie mit Kommunen geschlossen!
Wie wichtig mir es ist, demokratisches Engagement zu fördern, sehen Sie konkret am Budget: Bevor „Demokratie leben!“ 2015 an den Start ging, waren es 40,5 Millionen Euro – inzwischen haben wir die Fördersumme mehr als vervierfacht und auf 182 Millionen Euro angehoben. Ein großer Teil davon geht in die Demokratieförderung vor Ort. Wir haben mehr als 350 Partnerschaften für Demokratie mit Kommunen geschlossen.
Dass es uns in der aktuellen Haushaltssituation gelungen ist, die Förderung von „Demokratie leben!“ gegen den Rotstift zu verteidigen, ist ein Ausdruck der Wertschätzung und des besonderen Stellenwerts, den wir diesem Programm und den geförderten Projekten beimessen.
Das BMFSFJ gibt rund 15 Millionen Euro für Programme gegen Antisemitismus aus. Planen Sie diesen Anteil 2024 zu erhöhen? In welchen kulturellen sowie politischen Milieus verorten Sie den meisten israelbezogenen Antisemitismus?
Lisa Paus: Mein Ministerium prüft aktuell Spielräume, um die Förderung von Projekten gegen Antisemitismus noch zu erhöhen.
„Demokratie leben!“ fördert auch Projekte, die sich mit Antisemitismus in all seinen Ausprägungen befassen.
Nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel erleben wir auch in Deutschland deutlich mehr Angriffe auf Jüdinnen und Juden – von Menschen mit Migrationsgeschichte, von extremen Linken, von Rechten. Antisemitismus reicht bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. „Demokratie leben!“ fördert deshalb auch Projekte, die sich mit Antisemitismus in all seinen Ausprägungen befassen.
Frau Paus, weder Google, noch Ihre Profile auf Facebook oder Instagram haben uns Hinweise auf Ihre Hobbies preisgeben wollen. Mögen Sie uns verraten, was Sie abseits der Bundespolitik in Ihrer Freizeit gerne tun?
Lisa Paus: Freizeit ist für mich zuallererst: gemeinsame Zeit mit meinem Sohn.
Als alleinerziehende und berufstätige Mutter bleibt für Hobbies nicht viel Zeit übrig. Ich mache gern Sport, zum Beispiel Yoga – und entspanne bei Musik, einer Serie oder einem guten Buch.