„Demokratie ist ein Garant für einen gesunden Wettbewerb der Ideen in einer vielfältigen Gesellschaft!“
Dr. Thomas Bach (64) ist seit dem Jahr 2013 Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Als Fechter gewann der gebürtige Würzburger 1976 olympisches Gold. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit IOC-Präsident Dr. Thomas Bach über Demokratie, Sport als völkerverbindende Kraft und die Olympische Agenda 2020.
Herr Dr. Bach, die erste Frage möchten wir in guter Tradition auch Ihnen stellen: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Thomas Bach: Demokratische Werte sind ein Grundstein der modernen Gesellschaft. Unsere Welt ist von Vielfalt und Interessenverschiedenheiten geprägt. Wenn man die Vielfalt als Bereicherung begreift, führt sie zum Dialog. Und dieser Dialog zeigt uns, dass in allem Wettstreit, in allen Interessenverschiedenheiten die es gibt, ein friedliches Miteinander möglich ist. Das gilt übrigens gleichermaßen für die Politik, die Gesellschaft und für den Sport.
Demokratie ist ein Garant für ein friedliches Miteinander und einen gesunden Wettbewerb der Ideen in einer vielfältigen Gesellschaft.
Die Demokratie ermöglicht erst diesen Wettbewerb der Ideen. Die demokratischen Grundwerte setzen ja voraus, dass es viele andere Menschen gibt, die sich für die gleiche Sache mit gleichem Engagement einsetzen, aber vielleicht unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel aufzeigen. Somit ist Demokratie ein Garant für ein friedliches Miteinander und einen gesunden Wettbewerb der Ideen in einer vielfältigen Gesellschaft.
Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in einer Demokratie. Was darf man rund um die Austragungsorte der Olympischen Spiele rufen oder singen, und wo verläuft die Grenze zur Beleidigung oder Volksverhetzung?
Thomas Bach: Das übergreifende Ziel des IOC ist es, den Sport in den Dienst der Menschen zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist. Das ist in der Olympischen Charta verankert. Sie umfasst die grundlegenden Prinzipien des Olympismus sowie die Regeln, die während der Olympischen Spiele einzuhalten sind. Auch die Grundsätze zu Presse- und Meinungsfreiheit bei den Olympischen Spielen werden von der Olympischen Charta geregelt. Generell ist festzuhalten: Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist unvereinbar mit unseren Grundsätzen. Dafür gibt es bei Olympischen Spielen null Toleranz.
Das übergreifende Ziel des IOC ist es, den Sport in den Dienst der Menschen zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist.
Es ist also unsere Aufgabe und Verantwortung, dass für alle Teilnehmer der Olympischen Spiele und für alle direkt olympiabezogenen Faktoren, die Olympische Charta und damit auch die Menschenrechte zu gelten haben. Dazu zählt auch die freie Berichterstattung von Olympischen Spielen. So muss sich jedes Gastland der Olympischen Spiele verpflichten, Journalisten die Einreise und Berichterstattung von den Spielen zu ermöglichen. Diese Aufgabe nehmen wir sehr ernst und setzen sie auch regelmäßig durch. Das ist unsere Verantwortung. Auf der anderen Seite ist das IOC keine Weltregierung. Dafür fehlt uns das Mandat.
Das IOC ist keine Weltregierung!
Wir haben die Gesetze souveräner Staaten zu respektieren. Was wir nicht können, ist durch die Olympischen Spiele politische Probleme lösen, die Generationen von Politikern nicht lösen konnten. Was wir aber tun können ist, mit der Durchsetzung der Olympischen Charta bei Olympischen Spielen zu inspirieren und ein Zeichen zu setzen, dem Gastland und der ganzen Welt zu zeigen, dass eine freie Gesellschaft mit gegenseitiger Toleranz und Nicht-Diskriminierung möglich ist.
Sicherheit hat bei internationalen Großveranstaltungen wie Olympia einen hohen Stellenwert. Inwieweit hat sich das Fanverhalten, die Qualität der Gewalt und das Gefahrenpotential in den letzten Jahren verändert?
Thomas Bach: Die Olympischen Spiele stehen wie kein anderes Ereignis für Frieden, Respekt und Toleranz. Die Teilnehmer der Olympischen Spiele – von den Athletinnen und Athleten bis zu den tausenden von Zuschauern – wissen diese Grundprinzipien des friedlichen Miteinanders, die bei den Spielen im Mittelpunkt stehen, zu schätzen. Deswegen gibt es keine Hooligans bei Olympia.
Es keine Hooligans bei Olympia!
Selbstverständlich hat die Sicherheit der Teilnehmer bei den Olympischen Spielen höchste Priorität. Das zu garantieren ist eine der wichtigsten Aufgaben der jeweiligen Organisationskomitees und des IOCs. Aber letztendlich geht es bei den Olympischen Spielen darum, die Menschen in Frieden und im gegenseitigen Respekt zusammenzubringen und das wird immer im Vordergrund stehen.
Nach den Olympischen Winterspielen in Südkorea sprachen Sie von einer „starken Botschaft des Friedens“, die von den Spielen in PyeongChang ausgegangen sei. Kann Olympia wirklich einen Beitrag für mehr Frieden und zur Völkerverständigung leisten?
Thomas Bach: Vor noch nicht mal einem halben Jahr war allein der Gedanke einer Annäherung zwischen Nord- und Südkorea bestenfalls ein Wunschdenken. Die damalige politische Lage auf der koreanischen Halbinsel war geprägt von gegenseitiger Konfrontation und Misstrauen. Sie spitzte sich immer weiter zu.
In dieser angespannten Atmosphäre ist es dem IOC gelungen, die beiden sich noch im Kriegszustand befindenden Koreas zusammenzubringen und so die Tür zu Friedensgesprächen auf der politischen Ebene aufzustoßen. Der gemeinsame Auftritt der koreanischen Athleten war kein Zufall, sondern das Ergebnis eines langwierigen Prozesses, den das IOC bereits 2014 initiierte. Seit dieser Zeit unterhielten wir intensive Gespräche auf höchster Ebene mit allen Seiten, um eine Teilnahme der nordkoreanischen Athleten bei den Olympischen Spielen zu gewährleisten.
Der gemeinsame Auftritt der koreanischen Athleten war kein Zufall, sondern das Ergebnis eines langwierigen Prozesses, den das IOC bereits 2014 initiierte.
Des Weiteren hat sich das IOC gemeinsam mit der Regierung Südkoreas bei den Vereinten Nationen dafür eingesetzt, dass in der Resolution zum Olympischen Frieden (Olympic Truce Resolution) erstmalig die sichere Reise, der Zugang und die Teilnahme der Athletinnen und Athleten aus aller Welt bei den Olympischen Spielen explizit hervorgehoben wurde. Die Resolution wurde einvernehmlich von der UNO-Generalversammlung verabschiedet. Somit wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass die Olympischen Winterspiele in PyeongChang in Frieden stattfinden konnten. Bis nur wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier von PyeongChang führte das IOC die Verhandlungen mit Nord- und Südkorea fort, um den gemeinsamen Einmarsch beider Mannschaften zu ermöglichen. Es war ein langer und schwieriger Weg, aber letztendlich konnten sich beide Seiten auf die politische Neutralität des IOC verlassen, um dieses starke Zeichen für den Frieden zu setzen.
Die Olympischen Winterspiele in PyeongChang 2018 sind ein konkretes Beispiel für die völkerverbindende Kraft des Sports.
Die Staatschefs von Nord- und Südkorea haben seitdem erklärt, dass die Olympischen Winterspiele in PyeongChang die Voraussetzungen für die nachfolgenden Friedensgespräche geschaffen haben. Die Olympischen Winterspiele in PyeongChang 2018 sind also ein konkretes Beispiel für die völkerverbindende Kraft des Sports.
Die eigene Wertorientierung bildet sich im Laufe des Lebens heraus. Wie groß schätzen Sie in diesem Zusammenhang den Einfluss von Mannschaftssportarten auf die soziale Kompetenz und die Wertebildung von Kindern und Jugendlichen?
Thomas Bach: Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie der Sport Werte bildet und soziale Kompetenz vermittelt. Man lernt im Sport, dass ein Miteinander nur möglich ist, wenn man sich an die Regeln hält. Man lernt, dass eine Niederlage nicht das Ende aller Dinge ist und ein Sieg einen nicht anderen überlegen macht. Man lernt, dass man Erfolge nicht alleine erringen kann, sondern viele Menschen dazu nötig sind, die einen unterstützen. Man lernt, den sportlichen Gegner zu respektieren und vor allen Dingen, dass im Sport tatsächlich alle Menschen gleich sind. Das sind Werte fürs Leben und bilden die Grundlage für ein respektvolles Miteinander.
Werte wie Respekt, Solidarität oder Teamgeist stehen bei den Olympischen Spielen immer im Mittelpunkt!
Die enge Verknüpfung des Olympischen Sports mit diesen Werten ist übrigens kein Zufall. Bereits der Gründer der Olympischen Bewegung, Pierre de Coubertin, war sich der Rolle des Sports als Wertevermittler in der Gesellschaft bewusst. Deswegen stehen Werte wie Respekt, Solidarität oder Teamgeist bei den Olympischen Spielen immer im Mittelpunkt.
Die Olympischen Sommerspiele finden 2020 in Tokio statt. Welche Neuerungen gibt es, welche Herausforderungen erwarten Sie, und auf welches Highlight beziehungsweise auf welche Highlights dürfen sich Fans und Teilnehmer freuen?
Thomas Bach: Tokio 2020 sind die ersten Olympischen Spiele, die von unserem Reformprogramm, der Olympischen Agenda 2020, profitieren. Diese umfassenden Reformen für mehr Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit und Jugend sind wegweisend für die Zukunft des Olympischen Sports und der Olympischen Spiele. Konkret heißt das für das Event-Programm in Tokio: Es wird jugendlicher und weiblicher. Dank der Reformen sind neue Sportarten hinzugekommen, die vor allem bei jungen Menschen beliebt sind, wie Klettern, Surfen oder Skateboarden. Der Anteil der teilnehmenden Athletinnen wird 48,8 Prozent betragen – die höchste Frauenquote jemals bei den Olympischen Spielen. Und die Anzahl der Mixed-Events verdoppelt sich.
Die Olympischen Spiele in Tokio 2020 werden jugendlicher und weiblicher!
In dieser Hinsicht können sich Fans und Teilnehmer auf neue, attraktive Sportarten und Disziplinen freuen, die auf jeden Fall eine Bereicherung für die Olympischen Spiele sein werden, und somit wiederum Möglichkeiten eröffnen, ein neues, junges Publikum anzusprechen.
Herr Dr. Bach, unsere siebte Frage ist immer eine persönliche: Was machen Sie in Ihrer Freizeit am liebsten und welche Sportart fasziniert Sie am meisten?
Thomas Bach: Es wird Sie nicht verwundern, wenn ich Ihnen verrate, dass ich in der wenigen Freizeit, die mir als IOC-Präsident bleibt, gerne selbst Sport treibe und Sport verfolge. Manchmal gerät das in Widerstreit mit meiner Lust am Lesen.